Eine Institution in London: Die 2012 eröffnete Weinbar «Sager+Wilde» an der Hackney Road war eine der ersten ihrer Art und offeriert neben Naturweinen auch erlesene Snacks.
Eine Institution in London: Die 2012 eröffnete Weinbar «Sager+Wilde» an der Hackney Road war eine der ersten ihrer Art und offeriert neben Naturweinen auch erlesene Snacks.
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«Wein verbindet Menschen»

Der Aargauer Michael Sager hat in London vor über zehn Jahre seine erste Weinbar eröffnet. Inzwischen ist sie zu einer Institution für die neue Weingeneration geworden, die auch Naturweinen nicht abgeneigt ist.

Chandra Kurt

Wie sind Sie zum Wein gekommen?
Ich arbeitete in San Francisco in der Nähe von Sonoma und besuchte an den Wochenenden immer wieder Weingüter. Die Stadt hat eine grossartige Weinkultur, die sehr fesselnd ist – genauso wie ihre Restaurantkultur. Sie ist so vielfältig, und man kann sich hier unkomplizierter und persönlicher mit den Lebensmittel- und Getränkelieferanten austauschen, als in jeder anderen amerikanischen Stadt.

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Einmalig ist auch, dass man in einer halben Stunde auf dem Land ist und direkt beim Bauern einkaufen kann, während das in New York, Paris oder London nur über einen Zwischenhändler möglich ist.

Was lieben Sie am Wein?
Es geht um Inklusivität und Zugänglichkeit in allen Preisklassen – und um den Zugang zu Kulturen von Ländern auf der ganzen Welt. Wein verbindet Menschen.

Was ist für Sie ein grosser Wein?
Jeder Wein, der mich zum Nachdenken bringt, ist ein grosser Wein.

Vor mehr als zehn Jahren haben Sie Ihre Weinbar «Sager+Wilde» in London eröffnet – warum gerade in London?
London brauchte eine Bar, die es ermöglichte, Weine von höchster Qualität ausserhalb eines gehobenen Restaurants zu trinken und zu entdecken. Es gab damals  in der Stadt tolle Cocktailbars, aber keine Weinbar, was für mich bedeutete, dass ich eine eröffnen musste (lacht).

«Immer, wenn ich reise, entdecke ich neue Weine.» Michael Sager
«Immer, wenn ich reise, entdecke ich neue Weine.» Michael Sager

Was hat sich seitdem geändert?
Weinbars sind in London mittlerweile alltäglich geworden, was toll anzusehen ist und mich auch stolz macht.

Beim Besuch Ihrer ersten Weinbar an der Hackney Road in London musste ich an einen gemütlichen Saloon denken, wie man ihn aus Western-filmen her kennt. Wie entstand die Einrichtung Ihres Lokals?
Mit Geld! Im Ernst, das Problem ist, dass es eine zu grosse Auswahl gibt, wenn man Geld hat. Für meine Bars musste ich mir Geld von meiner Familie leihen, und sie haben nicht übermässig viel davon. Mein Vater verkauft Küchen an Architekten und sammelt und verkauft Antiquitäten als Hobby.

Weinkenner und Gastronom

Michael Sager ist im Kanton Aargau aufgewachsen und hat 2012 in London seine erste «Sager+Wilde»-Weinbar eröffnet, die inzwischen eine angesehene Londoner Institution ist. Sager hat diverse Auszeichnungen erhalten wie etwa den «UK Sommelier of the Year» vom GQ Magazin oder die Auszeichnung «Outstanding Achievement in the Wine Industry» von IWSC.  Wenn er nicht gerade seine drei Londoner Weinbars und Restaurants leitet, verbringt Michael seine Zeit auf seinem Mezcal-Unternehmen El Destilado, das er 2016 gegründet hat, und mit dem Import von Weinen.

Als ich ein Kind war, gingen wir immer auf Antiquitätenmärkte. Ich liebe das Gefühl und die Texturen von älteren Sachen. Man fühlt sich damit wie zu Hause. Vieles davon bekommt ein zweites Leben. So ist das ganze Restaurant hier mit rezykliertem Holz ausgestattet. Die Tischplatten etwa sind über 250 Jahre alt und stammen von einem alten Destillerieboden in Schottland.

Sie haben eine Art «Zen»-Weinkarte in Ihrer Bar. Warum, denken Sie, führen viele Weinlokale und Restaurants immer noch eine riesige Weinbibel?
Ganz einfach: Weil sie an Quantität statt an Qualität glauben.

Wie kreiert man denn die perfekte Weinkarte?
Wenn Sie mit Leuten über Weinkarten sprechen, werden sie sagen, dass Sie fünfundzwanzig verschiedene Sorten Shiraz, zwanzig Pinots und etwas Chardonnay brauchen. Aber das ist nicht wahr. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass Shiraz im Sommer nicht so gut schmeckt. Und ich habe auch gelernt, dass Sauvignon Blanc dafür im Winter nicht mundet. Es geht um die Balance. Was wir jetzt auf der Karte haben, auch das Essen, passt zur Saison und ist natürlich und einmalig – auch in seiner Einfachheit.

«Es gibt eine deutliche Abkehr von Klassikern und von überteuerten Weinregionen wie etwa dem Bordeaux-Gebiet.»

Die Tendenz geht Richtung helleren, ungeschwefelten Rotweinen und Weissweinen, die nicht im neuen Holz ausgebaut und frühzeitig geerntet wurden, damit sie Frische bewahren. Es gibt auch eine deutliche Abkehr von Klassikern und von überteuerten Regionen wie etwa dem Bordeaux. Zudem findet eine Verlagerung auf regionale Produkte statt.

Auf Ihrer Weinkarte hat es auch zahlreiche Naturweine. Was ist für Sie Naturwein – wie würden Sie ihn beschreiben?
Ein Wein, der ohne Einschränkungen und frei vinifiziert worden ist. Damit meine ich, der ohne zu viel Holzausbau oder zu viel Schwefel daherkommt. Tatsächlich sind die meisten interessanten Weine naturbelassen, und die meisten Weine, die als gut gelten, sind Mist – oder es lohnt sich nicht, dafür Geld auszugeben. Die Antwort liegt irgendwo in der Mitte.

Warum kommt dem Naturwein zurzeit eine so grosse Bedeutung zu?
Weil er es in seiner ungeschminkten Art ganz schnell schafft, Menschen zu verbinden. Man geniesst sozusagen reinen und nackten Wein.

Wenn man sich die «Liv-ex Power»-Liste ansieht, eines der bedeutendsten Ranking im Weinbusiness, findet man bereits in den Top 10 Namen wie Leroy, Arnoux-Lachaux, Leflaive oder Armand Rousseau – es sind alles Naturweine, aber sie würden sich selbst nie so nennen. Ist das ein Problem?
Ich persönlich glaube, dass Wein nicht als Investition gehandelt werden sollte. Also ja, es ist ein Problem. Ich bin jedoch dankbar, dass Sammler den Wein jahrelang lagern und ihn dann an Makler oder auf Auktionen verkaufen und so selbst Zugang zu reifem Wein erhalten. Wir können es uns nicht leisten, Wein jahrelang zu lagern, daher hilft dies.

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Wie entdecken Sie neue Weine?
Immer, wenn ich reise. Das kann die Baja California, Lanzarote oder Georgien sein. Ich lasse mich davon inspirieren, was die Menschen an den Orten trinken, an denen Wein produziert wird. Aber auch Paris hat immer noch einen grossen Einfluss auf mich.

Was sind Ihrer Meinung nach zurzeit die grössten Herausforderungen in der Weinwelt?
Hybride Reben zu akzeptieren, da sie den Klimawandel bestmöglich bewältigen können, ohne dass sie übermässig chemisch angebaut werden müssen.

Welches sind Ihre fünf liebsten Weinbars in der Welt?
In Paris ist es Septime. Sie ist ganz klein und voller Entdeckungen. Hier finden Sie innovative Weine und önologische Resultate von vorausdenkenden Winzern, für Paris ein einmaliger Ort. In London gehe ich gerne ins Hector. Hier hat es Trouvaillen aus der ganzen Welt – sowohl Naturweine wie auch klassische Weine.

«Die meisten interessanten Weine sind naturbelassen, und die meisten Weine, die als gut gelten, sind Mist – oder es lohnt sich nicht, dafür Geld auszugeben.»

In Barcelona ist die Bar Brutal ein Muss. Hier finde ich immer Weine aus Spanien, die ich noch nicht kenne – sie servieren sozusagen die önologischen News aus Spanien. Die Atmosphäre ist super, und die Bar ist bis spät in der Nacht offen. Aber natürlich muss man Naturweine lieben.

Und wie sieht es in Amerika aus?
In New York empfehle ich The Four Horsemen. Die Betreiber begannen mit einer Naturweinbar und haben inzwischen eine grosse Selektion an «hard to get wines», primär aus Frankreich. Es ist wie in einer Weinbar hier, auch wenn sie inzwischen einen Michelin Stern erhalten hat. In Tbilisi in Georgien empfehle ich das Samuri. Es wird von zwei jungen Frauen geführt, und es ist genial, was hier serviert wird. Weine der neuen Generation. Und noch ein Tip, wenn man unterwegs ist – die App «Raisin» zeigt einem immer die nächste Naturweinbar an. Ich verlasse mich darauf, da an diesen Adressen auch immer gutes, wenn auch einfaches Essen serviert wird.

Falls jemand noch nie Naturwein getrunken hat, mit welchem soll er beginnen?
Zum Beispiel mit dem österreichischen Weingut Meinklang. Seit vier Jahren vinifizieren die Winzer hier Weine und bewirtschaften hundert Hektar maschinell – das ist etwas Spezielles und Neues in der Naturweinbewegung. Die Weine sind preislich attraktiv und sehr zugänglich. Und dann mein Favorit aus dem Burgund – der Chandon de Brialles. Er wird ohne Schwefel und Kupfer produziert und ist ein Vorreiter in der regenerativen Kultivierung. Auf 15 Hektar arbeiten 15 Personen – und drei Pferde! Der Rebberg ist total grün, und was abgefüllt wird, ist genial. Aus Sizilien würde ich die Weine von Ariana Occhipinti versuchen. Sie gehören zu den ersten Naturweinen aus Italien.

Und welches sind Ihre Favoritenaus der Schweiz?
Die Walliser Domaine de Beudon zum Beispiel, die schon lange ganz eigene Wege geht. Sie ist für die Schweiz zukunftsorientiert und hat unglaubliche Lagen hoch über den Felsen. Dann schätze ich die Weine von Markus Ruch sehr. Sie sind nicht fordernd und immer gut, eine sichere Wahl in Sachen Naturweine. Und wenn man etwas Herausforderung in Glas will, gibt es nur ein Weingut – und zwar das Mythopia in Arbaz VS.

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